Offener Brief

an Außenminister Herr Heiko Maas,
Staatsministerin Frau Michelle Müntefering und an die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Frau Prof. Dr. Maria Böhmer zur Diskriminierung beim internationalen Freiwilligendienst kulturweit  

 12. September 2019 

Sehr geehrter Außenminister Herr Heiko Maas, 
Sehr geehrte Staatsministerin Frau Michelle Müntefering, 
Sehr geehrte Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission
Frau Prof. Dr. Maria Böhmer, 

kulturweit, der internationale Freiwilligendienst der Deutschen UNESCO-Kommission in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt, feiert am 12. September 2019 sein zehnjähriges Bestehen. Gerne würden wir mit Ihnen das Jubiläum feiern und uns freuen. Wir sind 30 freiberufliche Trainer*innen, die die pädagogischen Begleitseminare bei kulturweit, dem internationalen Freiwilligendienst der Deutschen UNESCO-Kommission in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt durchgeführt, die Freiwilligen begleitet haben und es teilweise immer noch tun. Einige von uns sind von Anfang an dabei, andere seit ein paar Jahren und wieder andere sind nicht mehr dabei. 

kulturweit genießt als Freiwilligendienst der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik einen guten Ruf und gibt auf seiner Homepage an „sich für eine weltoffene Gesellschaft im Sinne der UNESCO ein[zusetzen]“. „Zentral“ sei „die Vermittlung einer ethischen Haltung, die den Werten des Friedens, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit verpflichtet ist.“ Die „Arbeitsgrundlage“ bilde dabei „die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, wonach „jeder Mensch […] Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten [habe] ohne irgendeinen Unterschied, etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ 

Leider ist unsere Freude über den 10. Geburtstag von kulturweit getrübt. Wir finden, dass kulturweit dem eigenen zuvor zitierten Anspruch nicht gerecht wird. Wir kritisieren, dass kulturweit unserer Meinung nach rassistische, sexistische und klassistische Strukturen reproduziert und berechtigte Kritik an kulturweit unterbunden wird. Kritik an (struktureller) Diskriminierung, weißer Dominanzkultur und Ungerechtigkeit endet bei kulturweit unserer Meinung nach an der eigenen privilegierten Komfortzone und am machtunkritischen Tellerrand. 

Wir bemühen uns seit Jahren Diskriminierung bei kulturweit abzubauen und den Freiwilligendienst zu verbessern. Da kulturweit immer wieder den Dialog mit uns abgebrochen hat, wenden wir uns nun an Sie. Auch weil wir glauben, dass sich bei kulturweit Probleme zeigen, die gesamtgesellschaftlich relevant sind und folglich deren Lösungen ein positives Beispiel für die Bundesrepublik darstellen kann. 

kulturweit reproduziert Rassismus.

Unserer Erfahrung und Kenntnis nach sehen sich sowohl Schwarze Trainer*innen und Trainer*innen of Color als auch Schwarze Freiwillige und Freiwillige of Color im Rahmen von kulturweit mit rassistischen Zuschreibungen und Ausschlüssen konfrontiert. In Auswahlgesprächen, auf den Seminaren und während des Auslandsaufenthaltes kommt es immer wieder zu rassistischen Handlungen und/oder Äußerungen, z.B. seitens weißer Trainer*innen, weißer Vertreter*innen von Partnerorganisationen oder weißer Freiwilliger. Freiwillige berichteten sogar, dass sich manche Botschafter*innen rassistisch oder sexistisch äußerten bzw. verhielten. Leider wurde seitens der kulturweit Leitung nach unserer Auffassung nicht genug unternommen, um sich klar gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen zu positionieren und sie zu sanktionieren, sondern wir mussten die Erfahrung machen, dass Vorfälle ignoriert, bagatellisiert oder sogar toleriert wurden. Beispielsweise wurde auf einem kulturweit-Seminar ein Empowerment-Raum für Schwarze Freiwillige und Freiwillige of Color, in dem sie ihre Rassismuserfahrungen reflektieren und sich gegen Rassismus stärken können, mit Hakenkreuzen beschmiert. Unserer Kenntnis nach hat die Leitung keine offiziellen Schritte eingeleitet. Wir fragen uns auch, inwieweit auf der Homepage von der Vermittlung eines „aktuellen und differenzierten Deutschlandbildes“ gesprochen werden kann und wie dies gewährleistet sein soll, wenn auf der Ebene a) der Hauptamtlichen im kulturweit-Büro und in den Partnerorganisationen, b) der Trainer*innen und c) der Freiwilligen überwiegend weiße Menschen anzutreffen und Schwarze Menschen und People of Color deutlich unterrepräsentiert sind. 

kulturweit reproduziert Klassismus.

Wenn laut kulturweit Magazin 2018/2019 in den letzten 10 Jahren unter den knapp 4000 kulturweit Freiwilligen, gerade mal „190 Auszubildende, Arbeitssuchende, Arbeitnehmer*innen“ waren und die große Mehrheit der Freiwilligen aus der weißen bürgerlichen Mittelschicht kommt, so deutet das unserer Meinung nach darauf hin, dass „soziale Herkunft, Vermögen und Geburt“ eine nicht zu vernachlässigende Rolle für die Teilnahme am Freiwilligendienst spielen. kulturweit tut nicht genug dafür, dieser Benachteiligung und diesem klassistischen Ausschluss entgegenzuwirken. Zudem haben die wenigen Freiwilligen, aus Arbeiter*innen- oder Armutskontexten, die es bis zu den Seminaren geschafft haben, immer wieder über diverse Klassismuserfahrungen im Rahmen des Freiwilligendienstes geklagt. 

kulturweit reproduziert Sexismus.

#MeToo bei kulturweit too. Selbstverständlich ist auch die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht frei von Sexismus sowie patriarchalen Strukturen und Umgangsformen. Trainer*innen, weibliche und trans Freiwillige haben wiederholt von Sexismuserfahrungen berichtet, während der Eindruck besteht, dass weiße cis männliche Trainer bei der Auftrags- bzw. Seminarverteilung bevorzugt werden und ihr dominantes Verhalten (von der kulturweit-Leitung) geduldet wird. Zahlreiche weibliche und trans Freiwillige berichteten sogar wiederholt von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt, die sie ihm Rahmen ihres Freiwilligendienstes (teilweise sogar in ihrer Einsatzstelle) erlebten. Hier wurde unserer Meinung nach von kulturweit nicht genug unternommen, um (junge) Frauen und trans Personen davor zu schützen und cis Männer auf ihr sexistisches und patriarchales Verhalten aufmerksam zu machen und sie für ihr sexistisches Verhalten zur Verantwortung zu ziehen. 

kulturweit unterbindet Kritik an kulturweit.

In den vergangenen zehn Jahren haben wir uns immer wieder gegen Diskriminierung bei und durch kulturweit stark gemacht und uns für Gerechtigkeit, Dialog und Austausch eingesetzt. Kulturweit hat sich teilweise offen für Diversifizierung gezeigt. Wurden jedoch strukturelle Konflikte thematisiert und strukturelle Veränderungen bei kulturweit gefordert, wurden kritische Trainer*innen, entweder diszipliniert, durch intransparenter Personalführung sowie uneindeutiger Hierarchien isoliert oder gekündigt. [1] Die meisten Entscheidungsträger*innen bei kulturweit, insbesondere die Leitung, verweigerten sich der Auseinandersetzung mit den strukturellen Machtungleichheiten sowie dem eigenem machtvollen Handeln innerhalb der Organisation. Trainer*innen, die diskriminierende Strukturen kritisch benennen, wird Emotionalität, Aggressivität und mangelnde Wertschätzung vorgeworfen. Anstatt sich also dem strukturellen Konflikt zuzuwenden, werden Konflikte personalisiert und die Machtungleichheiten geleugnet. Eine institutionelle Auseinandersetzung mit Diskriminierungskritik wird unserer Erfahrung nach durch Verweis auf sogenannte Sachzwänge abgewehrt. Es wird argumentiert das Auswärtige Amt stelle zu wenig finanzielle Mittel für externe Referent*innen zum Thema Diskriminierungskritik zur Verfügung bzw. die pädagogische Begleitung dürfe nicht zu machtkritisch sein, weil sonst der Geldhahn zugedreht werden könne. Eine andere Abwehrstrategie ist der Verweis auf die Notwendigkeit von Effizienz oder die Angst vor negativem Feedback weißer Freiwilliger bzw. deren (einflussreichen) Eltern. 

Das Einkaufen von Diskriminierungskritik als Dienstleistung von externen Honorarkräften (v.a. freien Trainer*innen) ermöglicht es kulturweit, der Diskriminierungskritik beliebig Grenzen zu setzen und den Prozess der Auseinandersetzung jederzeit abbrechen zu können. 

Das führt dazu, dass die Trainer*innen sich selbst beschränken, um nicht den Unwillen der Institution (kulturweit) zu riskieren und weitere Aufträge zu verlieren. Für Schwarze Menschen und People of Color, die als Honorarkräfte (v.a. freie Trainer*innen) arbeiten, bedeutet dies eine doppelte Verletzlichkeit: Einerseits sind sie finanziell abhängig, andererseits sind sie jederzeit der Gefahr von Rassismuserfahrungen ausgesetzt. 

Wir fordern Sie daher auf, beziehen Sie klar Stellung gegen Diskriminierung bei kulturweit, seinen Einsatzstellen und seinen Partnerorganisationen. Wir fordern Sie auf, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass das, wofür kulturweit (mit Verweis auf die Werte der UNESCO, der Vereinten Nationen und Menschenrechte) nach außen vorgibt zu stehen, auch nach innen glaubwürdig und nach außen transparent, sowie nachhaltig und strukturell umgesetzt wird. 

Mit freundlichen Grüßen, 
30 freiberufliche Trainer*innen, die von kulturweit beauftragt wurden 

PS: Da wir in der Vergangenheit häufiger die Erfahrung gemacht haben, dass jene Trainer*innen, die sich kritisch gegenüber kulturweit äußern, in der Seminarvergabe benachteiligt oder gekündigt wurden, haben wir uns dazu entschieden, anonym zu bleiben, um uns vor negativen beruflichen Konsequenzen zu schützen. 

[1] Was Beate Flechtker, Alice Stein und Urmila Goel bereits in Ihrem Text „Eine unmögliche Verbindung?“ aus ihrer Erfahrung und Analyse entwicklungspolitischer Institutionen und rassismuskritischer Bildung aufgezeigt und analysiert haben, hat auch in den letzten Jahren bei kulturweit vollzogen. 
erschienen in: BER (Hrsg.): Develop-mental Turn. Neue Beiträge zu einer rassismuskritischen entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit, Berlin, 2013, S. 68-72.

http://www.urmila.de/UDG/Teamen/texte/developmental.html 

7 Gedanken zu „Offener Brief“

  1. Ich bin dafür – Das Gute fördern, das Schlechte verringern bzw. beseitigen. Um das zu erreichen muss es erkannt und benannt werden.
    A. Hessler
    Diplom Sozialarbeiter
    Supervisor
    Mehrjährige Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit und als Projektberater beim SES

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  2. roberto, 30 trainer*innen sollen alle persönlich gekränkt sein und einen rachefeldzug führen? da bin ich jetzt aber persönlich gekränkt, dass du uns (ich habe nicht mitgeschrieben, bin schon nach der allerersten runde aussortiert worden: offiziell, weil ich zweimal zu spät zu teamsitzungen gekommen ei und dann auch noch nach grünem tee gefragt habe) für politisch so unreflektiert hältst. nach 15 jahren solltest auch du ein verständnis für machtverhältnisse entwickelt haben. es wurde zu kulturweit auch schön an anderer stelle kritik laut: http://www.migazin.de/2015/03/31/kulturweit-am-deutschen-wesen-soll-die-welt-genesen/. danke für euren brief!

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  3. spannend, katleen!
    zu glauben, „man“ wird aus dem trainer*innenpool „rausgeschmissen“, nur, weil man sich kritisch äußert und „das system“ in frage stellt, gehört nicht zu meinem welt/arbeits/menschenbild. ich bin davon überzeugt, dass alles, was „man“ konstruktiv, sachlich, begründet, empathisch kritisch äußert, auf einen weitestgehend fruchtbaren boden fällt. ich habe in meinen 15 jahren als trainer (ja, ok, cis-männlich – hoffe, meine gedanken zählen dennoch) mit über 1500 seminartagen durch unendliche auftraggebende wenig settings erlebt, die hierfür ähnlich offen waren die kw. klar, dass eine solche veränderung nicht von heute auf morgen geht. und ja: 10 jahre sind unendlich lang. nur: vor 10 jahren war es ein fast gänzlich anderes programm (von den seminarschwerpunkten). daher bin ich tatsächlich davon überzeugt, dass in die gesamte diskussion persönliche kränkungen eine große rolle spielen.

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    1. Lieber Roberto,

      meine Erfahrungen (männlich, weiß, von Klassismus und Homophobie betroffen) sind leider andere. Auch ich mache seit mehr als 10 Jahren Bildungsarbeit. Ich weiß, dass mich manche Auftraggebenden gerne anstellen, um so einen „kreativen Paradiesvogel“, „jemanden der anders ist“ und „jemanden der kritisch ist“ buchen. Das ist oft ein schmaler Grad zwischen Anerkennung und Diskriminierung.

      Leider mache ich aber auch, vor allem im Umgang mit Ministerien, Behörden und von diesen Geldern abhängigen Organisationen, die Erfahrung, dass Kritik auf den hier angesprochenen Ebenen zum Ausschluss führt. Zu unbequem. Und das auch, wenn ansonsten das Feedback und Rückmeldung zu der eigenen Arbeit äußerst positiv ist. Zu unbequem zu sein, darf mensch sich manchmal nicht trauen. Falls mensch sonst sehr gute Arbeit macht, darf mensch ein bisschen unbequem sein.
      Das ist meine Erfahrung.

      Nun decken sich unsere Erfahrungen, und deine mit dennen der 30 hier schreibenden Teamer*innen ja nicht. Erklären kann ich mir das tatsächlich nur so, dass du diese Erfahrungen nicht machen musst. Was schön für dich ist. Ich fände es toll, wenn du die anderen Erfahrungen aber nicht abwerten würdest. Das lese ich bei dir schon raus.

      Solidarische Grüße!

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  4. Liebe Trainer*innen,

    vielen Dank, dass ihr euch hier öffentlich zeigt und kritisch äußert.
    Auch ich war letztes Jahr über Kulturweit im Ausland. Während des Seminars habe ich mich kritisch bei den zuständigen Personen geäußert, da sich der Gedanke schrecklich angefühlt hat, Brain Drain im Ausland zu unterstützen und koloniale bzw. allgemeine Abhängigkeitsstrukturen weiterhin zu fördern.
    Die einzige Reaktion lautete „Wenn es kulturweit nicht gäbe, würde sich (in Bezug auf diese Strukturen) auch nichts ändern“. Ich finde das absolut nicht den richtigen Umgang mit diskriminierenden Strukturen und wünsche mir sehr, dass kulturweit reagiert und Kritik umsetzt.

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  5. was ist das, ein offener brief, der anonym „unterschrieben“ wird? ich spreche aus meiner erfahrung dagegen. hier wird ein „feldzug“ geführt aus persönlicher kränkung. das erste, was ich machen würde, wären persönliche gespräche führen. ohne anklage, ohne schuldzuweisung, ohne vorwürfe.

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    1. Wie es sich rauslesen lässt, wurde dies bereits in der Vergangenheit getan und führte zu Rausschmiss aus dem Trainer*innen-Pool. Wie kann also ein Gespräch geführt werden, in der es zur Ablehnung kommt? Nach 10 Jahren einen offenen Brief zu veröffentlichen ist auch eine lange Zeit um Missstände anzusprechen, die ja nicht erst seit gestern sichtbar sind.

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